Heute muss ich noch etwas lernen

Heute muss ich noch etwas lernen

By DALLIGATOR

 

Das Lernen an sich wird meist mit Schule und Ausbildung in Zusammenhang gebracht und weckt daher schnell negative Assoziationen. Ein äußerer Zwang stülpt sich über einen und nur das große Ziel dahinter, dass das einem eines Tages nützlich sein könnte, beziehungsweise dass man das Wissen und Können in einem anderen Moment abrufen muss, stellen keine solide Grundlage für nachhaltiges und freudvolles Lernen dar.

Dabei ist das Lernen etwas, das uns unser Leben lang begleitet, das absolut lebensnotwendig ist, das wir von Geburt an können und bei dem unser Körper selbst wundervolle Belohnungssysteme aufgebaut hat. Grund genug, um über das Lernen mit Kindern im Alltag nachzudenken.

Wir sind auf dem Weg zum Einkaufen. Ich habe für diese Aktion ein gewisses Zeitfenster eingeplant und am Vormittag auch noch andere Dinge vor. Ich nehme die Kinder mit, weil meine Frau dann etwas anderes machen kann und weil es ihnen auch Spaß macht.

Ich will schnell machen und irgendwann nach dem Einkaufen für sie noch eine spezielle Lernsituation/Spielsituation gestalten, wie zum Beispiel ein Buch zusammen lesen und über die Bilder sprechen. Auf dem Weg überlegen sich meine Kinder jedoch alle paar Meter, dass sie etwas interessantes wie eine Schnecke entdeckt haben, dass sie lieber hier stehen bleiben wollen,… . Langsam baut sich eine Anspannung auf und entweder durch Belohnung oder Strafe bekomme ich sie dann endlich dazu das zu machen, was ich will. Dabei muss ich sie dann doch teilweise tragen, diskutieren und drängen.
Meine Intention, danach noch etwas interessantes zu machen mag ja schön und gut sein, aber warum verändere ich hier nicht einfach meine Einstellung und nutze ihr Interesse und die sich bietende Möglichkeit? Warum versuche ich künstlich etwas zu erzeugen, was sich mir auf natürlichem Wege anbietet?

Im Laden will ich dann schließlich schnell durchkommen und die geplanten Dinge effektiv einkaufen. Bereits vor dem Eingang verkündet mir mein Kind jedoch, dass sie selbst einen Wagen schieben will. Das sieht zwar süß aus, jedoch sehe ich nur selten andere Kinder, die dies dürfen, da man sich durch so einen Wagen viel Stress und Verzögerung einhandelt. Deshalb verzichte ich zeitweise darauf oder dränge sie dann wie Beiboote am großen Segelschiff zu bleiben.

Die Kleine will deshalb raus aus dem Wagen, aber nicht in meinem Tempo und in meine Richtung laufen. Ich sage deshalb entweder im Wagen bleiben oder biete meinen Arm an und fühle mich dabei großzügig und opferbereit.

Aber sie entdeckt eine Möglichkeit wie sie außerhalb des Wagens sein, jedoch nicht laufen muss. Sie hängt sich seitlich auf den Wagen und fährt mit, wie Surfen oder die Müllabfuhr und ich muss zugeben, dass es sehr cool aussieht. In mir kommt ein erster Impuls hoch es ihr zu verbieten, da wir das so nicht besprochen haben. Diesmal schaffe ich es ihn direkt im Kern zu unterdrücken, weil sie sich etwas tolles selbst ausgedacht hat ich ehrlicherweise das auch so machen will. Sie hat etwas gelernt, eine Bewegung, ein Problem erkannt und für sich gelöst und das aus eigenem Antrieb. Etwas wozu ich sie auf dem Spielplatz sonst dazu aufgefordert hätte. Wozu sie dann vielleicht keine Lust gehabt oder es durch die Konstruktion nicht gelöst hätte. Ich bin stolz auf sie, teile ihr dies durch ein begeistertes Lächeln mit und jetzt muss ich mal schnell schauen was die Große bereits alles in ihren kleinen Wagen eingeladen hat. 😉

Mittlerweile lasse ich sie deshalb z.B. oft selbst den Wagen nehmen, überlasse ihr wenn möglich eine Auswahl und versuche generell ihrem Entdeckungsdrang und ihrer Verarbeitung unserer großen Welt nicht im Weg zu stehen. Ich versuche sie selbst, wo es möglich ist auch in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen und ihnen nicht zwanghaft an mein schnelles Tempo aufzudrängen, sondern mich da nach ihnen auszurichten. Das funktioniert nicht immer sofort, aber ich bin mir sicher, dass es ihnen guttut, dass sie so ihre Freude am Lernen und Entdecken bewahren und dass es auch gut für mich ist, die Dinge nicht stets nur hinsichtlich ihrer Effektivität zu betrachten, sondern den Moment sich entfalten zu lassen und einfach zu beobachten, was sich ergibt.

Kinder können immer lernen und so will ich mit ihnen durch den Tag gehen. Nicht ihnen meine Regeln aufzwingen, sondern ihr Spiel kennenlernen, nicht die bestimmende Macht zu sein, sondern die begleitende und ermöglichende.

 

„…Sie hat etwas gelernt, eine Bewegung, ein Problem erkannt und für sich gelöst und das aus eigenem Antrieb…“

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